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Textenetz: Klaas Huizing

Klaas Huizing

Der letzte Dandy

Roman. Knaus Verlag, München 2003. 224 Seiten. 19,90 Euro. ISBN: 3-8135-0208-2, >>> Amazon
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Man stelle sich vor: Sören Kierkegaard und Thomas Mann spazieren gemeinsam durch das Paradies. Ihr beider zu Lebzeiten gepflegter Hang zum schmucken Äußeren wie zur Selbstbespiegelung bildet nicht von ungefähr eine hinreichende Grundlage, einander bewundernden Respekt zu zollen - gerade auch, weil ihre Antriebe für diese Wesensmerkmale kaum unterschiedlicher sein könnten. Doch es ist Sören, der hier im Mittelpunkt steht, und Thomas, zum Ende hin duzen sich beide sogar, bescheidet sich in der Rolle eines aufmerksam mitfühlenden Stichwortgebers. Das Dichten, Denken und Philosophieren hat in diesem Himmel längst kein Ende - nicht immer zur Freude der bereits dort Anwesenden. Die Gelegenheit, endlich das einst nicht vollendete Projekt eines autobiographisch gefärbten Romans kennen lernen und kommentieren zu dürfen, mit dem Sören die Kopenhagener Gesellschaft zu schockieren gedachte, tröstet Thomas z.B. auch über den für Abend angekündigten "Heidenlärm eines Mozart-Konzertes" hinweg.
Eine Scharade in der Scharade einer Scharade - wer all die doppelten Böden dieses Romans ausloten kann, darf sich fürwahr gebildet nennen. Dabei geht es hier weit weniger um das Vollkornbrot ernsthaft zu erörternder Wahrheiten als vielmehr um ein Soufflé, ein kunstvoll aufgeblasenes Schaumwerk über die scheinbaren Nichtigkeiten, die einen großen Geist ein am Leben gehindertes Leben inszenieren lässt.
Thomas Mann? Nun ja, der Fernseh-Vierteiler hat diesem Nobelpreisträger ein neues Gesicht gegeben und vielleicht einige mehr zur Erstbegegnung mit den Buddenbrooks angeregt. Aber Sören Aabye Kierkegaard? Das müssen schon hart gesottene Philosophen oder/und Theologen sein, die sich mit ihm beschäftigen, womöglich sein Gesamtwerk studieren. Selbst im Nachwort zu "Der letzte Dandy" heißt es: "Kierkegaard ist kein Autor für jede Jahreszeit und für jedes Lebensalter. Wenn die Bäume im November Schleier tragen, benötigt man eine gewisse mentale Stabilität, will man Kierkegaard lesen. Und wer sich in Ehefragen unschlüssig ist, sollte nicht die Schriften dieses Autors zu Rate ziehen."
Dann aber heißt es weiter: "Für alle anderen gilt: Kierkegaard ist der philosophische Tycoon der Selbsterforschung und Entschlossenheit. Wie kein anderer Philosoph verkörpert er diesen protestantischen Instinkt. Spätere Philosophen tauften den Instinkt Existentialismus." Somit darf Kierkegaard als Urvater der Existentialisten gelten, auf den sich Jaspers, Sartre und Heidegger beriefen und der von theologischen Dialektikern wie Barth, Brunner und Gogarten bierernst missverstanden wurde.
Wie aber gelingt es Klaas Huizing nun, aus solch einem "existentialistischen" Lebensentwurf auch noch Funken für eine normalsterbliche Leserschaft zu schlagen? Ja damit sogar durchaus unangestrengte Kurzweil zu offerieren?
Zum einen ist der Autor Klaas Huizing Professor für systematische Theologie und hat in Philosophie promoviert, kennt sich mithin in der Materie aus und hat über Kierkegaard viele Seminare gehalten. Das allein verspräche noch keine Unterhaltung, wenn Huizing nicht zugleich ein begnadeter Virtuose des Wortspiels und der Metapher wäre, der sich in ausgefeilter Komposition anspielungsreich und dennoch sehr diszipliniert auf das Elementare zu beschränken vermag. Den alles entscheidenden I-Punkt setzt jedoch seine selbstironische Haltung zu den Gegenständen seiner Betrachtung. Selbstironisch insofern, als er ganz offenkundig eine hohe Affinität zu den Geistesgrößen des 18. und 19. Jahrhunderts hat und womöglich nicht nur insgeheim Ästhetik und Umgangsformen jener vergangenen Zeiten sehr schätzt. Aber er ist eben auch nicht blind dafür, zielt vielmehr mit Wonne darauf, dass damals wie heute gesellschaftliche Prozesse von leider nur allzumenschlichen Dynamiken angetrieben werden, die zu jeder Zeit Futter für eine Farce oder Satire geben. Und spätestens seine diesmal "Spaziergänge" genannten Zwischeneinschübe beweisen die stets gleich bleibende Aktualität dieser Erkenntnis.
Keine Angst also vor diesem neuen Roman von Klaas Huizing, er bietet fürwahr ein köstliches Lesevergnügen.

Interview und weitere Besprechungen zu Werken von Klaas Huizing siehe:
Textenetz: Klaas Huizing

Buechernachlese © Ulrich Karger


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