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Wilfried Breyvogel (Hg.)

Piraten, Swings und Junge Garde

Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. H.W. Dietz Nachf., Bonn 1991. ISBN: 3-8012-3039-2, >>> Amazon
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PIRATEN, SWINGS UND JUNGE GARDE untersucht oppositionelle Jugendliche des III. Reiches - eine Minderheit also, zu der jener allerdings nicht zählt, der u.a. auch das Zitat von der Gnade der späten Geburt in den Unsinn gewendet hat.
In seiner Einleitung zu dieser Textsammlung stellt der Herausgeber Wilfried Breyvogel dar, wie wenig systematisch sich die Widerstandshaltung damaliger Jugendlicher entwickeln konnte. "...ein heimlicher Eindruck, eine Szene vor dem Fenster, eine Wahrnehmung im Ghetto, dieses kann von einer Sekunde zur anderen bei einem alles, bei anderen gar nichts auslösen." (S.11)
Die nachfolgenden Texte wurden dann nach der Chronologie unterschiedlicher Formen des Jugendwiderstandes zwischen 1933 und 1945 in Beziehung gesetzt. Zuerst die in den Jugendorganisationen der Arbeiterparteien und der Naturfreundejugend, dann ein Höhepunkt mit dem Beitrag von Christel Beilmann. Alle Texte bestechen durch präzise Sprachführung und saubere Quellenscheidung, aber wie diese Frau ihre JUGEND IM KATHOLISCHEN MILIEU der NS-Zeit unsentimental und ungetrübt jedweder Verbrämung beschreibt, ist einfach einzigartig. Solche Frauen inmitten der Kirche und nicht an ihrem Rande, und es sähe heute für die Kirchen besser aus! Sie hat sehr klar erkannt und verurteilt, was sie als junges Mädchen in diesem Milieu daran hinderte, überhaupt auf die Idee zu kommen, politischen Widerstand zu leisten. "Ich habe im Nachhinein eher den Eindruck, daß die Kirche von diesem politischen Widerstand offiziell zumindest lieber keine Kenntnis nahm, er geschah gegen ihr Konzept; es entsprach nicht dem Kodex der Kirche, daß jemand sich gegen die Obrigkeit stellt, ihr gar Widerstand leistete." (S.63)
Es folgen konstruktiv diffenzierende Beiträge über die "bündische Jugend" sowie über die "Edelweißpiraten". Sie setzen der Schwarz-Weiß-malerei der einen wie der anderen Seite wirksame Argumente entgegen. 
Ein Schwerpunkt mußte natürlich die Auseinandersetzung mit der "Weißen Rose" sein. Breyvogel erläutert in seinem Artikel, warum: "... die 'Weiße Rose' gehörte - wie Detlev Peukert einmal anmerkte - mit der militärischen Opposition des 20. Juni 1944 und dem katholischen Bischof von Galen zum Dreigestirn der positiven Widerstandstradition." (S.159) Ohne den Mut und die Entschlossenheit der "Weißen Rose" anzutasten, ergeben sich aus seinem Beitrag und den Texten von Inge Jens und A. Knoop-Graf z.T. völlig neue Einschätzungen der einzelnen in der Gruppe sowie der Gruppe als ganzes.
Den meisten unbekannt dürften auch die Hamburger Swings und die Pariser Zazous sein. In Kleidung und Musikgeschmack völlig aufs Angloamerikanische "abgefahren", war deren "Renitenz und leichtsinniger Übermut" schon bemerkenswert auf der Skala großdeutschen Widerstandes. Sehr weiterführend zum Verständnis für alle Jugendlichen dieser Zeit sind die psychologischen Einlassungen von B.A.Rusinek über die Zwänge dieser Jugendlichen, vor allem auch gegen Kriegsende, welche die genauen Zuordnungen zwischen Widerstand und Kriminalität ad absurdum führen. Vor der persönlichen Nachbemerkung von Carola Stern hat der Herausgeber einen weiteren Höhepunkt gesetzt. Arno Klönnes Ausführungen über den Umgang mit der Geschichte jugendlicher Opposition im III. Reich nach 1945 sind derart fulminant, daß man sie am liebsten gleich vollständig widergeben möchte. Einfach jeder Absatz ist zitierfähig und zu unterstreichen. Z.B. daß für eine Politik, die nach alledem dennoch auf Kontinuität deutscher Gesellschaftsgeschichte alter Provinienz Wert gelegt hat, "war es schlüssig gedacht, Verweigerung und Widerstand 'von unten', so eben auch die Jugendopposi-tion im 'Dritten Reich', aus der Geschichtsschreibung auszugrenzen."(S.302) Siehe dazu auch der Um-gang mit Jugendlichen in den 60-igern und heute... Keiner und keine in Deutschland, die von diesem Buch nicht gefesselt sein könnten - den Jugendlichen, die nach dieser Lektüre "etwas tun wollen", sollte die neueste Auflage des Ratgebers im Rowohlt Verlag von Wolfgang Borchers mit dem Titel KRIEGSDIENSTVERWEIGERUNG - WEGE AUS DER GEWISSENSNOT dazugegeben werden.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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