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Büchernachlese-Extras: Jostein Gaarder | Geschichten über Gott und die Welt

Jostein Gaarder

Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Roman. Carl Hanser Verlag, München 1996, 152 S., ISBN: 3-446-18071-0, >>> Amazon
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Hymnen und hohe Auszeichnungen für eine Einführung in die Philosophie - dennoch werden vermutlich nur ältere "Jugendliche" den Bestseller von Jostein Gaarder zu schätzen gewußt oder auch nur zu Ende gelesen haben. Ein Jahr nach Erscheinen von SOPHIES WELT wurde in Norwegen Gaarders Auseinandersetzung mit dem christlich-theologischen Schöpfungsbegriff veröffentlicht. Der Titel 'Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort' ist ein Versausschnitt aus dem 13. Kapitel des Paulusbriefes an die Korinther, das mit dem allseits geläufigen Spruch endet: Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
Die einst blond gelockte Cecilie lebt in einer sie liebevoll umsorgenden Familie. Ängstlich sind Eltern, Großeltern und der Bruder darauf bedacht, es Cecilie recht zu machen. Cecilie ist wütend und stur ..und todkrank. Alle ahnen, daß sie mit ihr das letzte gemeinsame Weihnachten verbringen werden. Als sich Cecilie von der rührenden Obhut ihrer Lieben ausruhen will, lernt sie Ariel kennen. Ariel ist ein Engel ohne goldene Haare, ohne Flügel und kaum größer als Cecilies kleiner Bruder Lasse. Immer wenn nun Cecilie in ihren Wachphasen ohne "irdischen" Besuch ist, entspinnt sich zwischen ihr und Ariel ein Frage- und Antwortspiel. Natürlich will Cecilie alles über Engel wissen. Das Aussehen Ariels erklärt sich schnell: Engel wachsen nicht, denn sie waren schon immer da. Ein Wachstum von Haaren oder Zehennägeln wäre bedeutungsgleich mit Vergänglichkeit. So waren auch Adam und Eva Kinder, und erst als sie vom Baum der Erkenntnis aßen, wuchsen sie. "Die kleinen Schlingel hatten einen solchen Hunger auf Wissen, daß sie sich schließlich aus dem Paradies hinausgefressen haben." Und seit dem Sündenfall sind die Erwachsenen nicht mehr so das Wahre. Sie haben sich die Welt zur Gewohnheit werden lassen. Dagegen staunen die Engel "noch immer über das, was Gott geschaffen hat. Er selbst ist übrigens auch ziemlich verblüfft."
Aber wenn ein Mensch seine Augen zu seinem himmlischen Ursprung erhebt, ist das so, als ob Gott sich selbst im Spiegel erblickt. Denn das Auge ist der Spiegel der Seele, und Gott kann sich in der Menschenseele spiegeln. Ob das nicht alles eine "Irrlehre" ist? "Wir nehmen so was im Himmel nicht so genau. Dort wissen wir seit jeher, daß die Schöpfung ein großes Rätsel ist, und wenn etwas ein Rätsel ist, dann ist Raten erlaubt."
Dennoch bleibt Cecilie bis fast zuletzt skeptisch, und fordert die erfrischend quergebürsteten Antworten Ariels heraus. So wird ihre stereotype Erkenntnis, daß "kein Raumfahrer auch nur eine Spur von Gott oder den Engeln gesehen" hat, von Ariel damit gekontert, daß ja auch kein Gehirnchirurg je die Spur eines Gedankens gesehen hat.
Der eigentliche Kunstkniff Gaarders vollendet sich aber in den Fragen und dem Erstaunen des Engels. Ein Engel hat zwar das Weltall zur Spielwiese, kann fliegen und durch die Wände gehen, aber er verfügt weder über unsere fünf Sinne noch über die Fähigkeit sich zu erinnern und zu vergessen. Seine Fragen nach dem scheinbar Selbstverständlichen läßt Cecilie das Wunderbare dieser Welt und nicht zuletzt das Wunderbare am Menschsein selbst gewahr werden. Auf den zu Weihnachten ertrotzten Skiern und dem Schlitten gleitet sie zusammen mit dem Engel noch einmal unter dem Sternenhimmel, dann vermag sie ohne Bedauern "durch den Spiegel zu gehen".
Hervorragend ins Deutsche übersetzt, könnte dieses Buch mit seinen eindrücklichen Metaphern sogar SOPHIES WELT den Rang ablaufen. Dem kopflastigen Materialismus unserer Tage setzt es das Erstaunen gegenüber. Auch von daher ist der vom Verlag vorgegebenen Altersangabe (ab 13 Jahren) diesmal ohne Vorbehalt zuzustimmen - was keineswegs heißt, daß Erwachsene nichts an Cecilies Geschichte zu beißen hätten. Die Verknüpfung des paulinischen Liebesgebotes mit dem altestamentlichen Schöpfungsgedanken erhält hier einen besonderen Drall, zumal Gaarder die ganze exegetische Breite nutzt und insbesondere die bei Kindern oft mit falschem Zungenschlag wegerzogene Eigenliebe thematisiert. Im Namen des Engels Ariel schwingen ein wenig Shakespeare (Der Sturm), Goethe (Faust) und das Synonym von Jerusalem als "Herd Gottes" mit. So hat Ariel auch keine Berührungsängste mit den im nordischen Sagenkreis heimischen Raben Hugin (der Gedanke) und Munin (die Erinnerung), die auf den Schultern Odins sitzen. Aber gerade weil diese Geschichte derart eindeutig aus der christlichen Spiritualität schöpft, könnte sie auch Atheisten beeindrucken - nicht um sie für eine Konfession zu missionieren, sondern weil diese Spiritualität der immer nötigeren Weltsicht des Erstaunens in unseren Breitengraden am treffendsten das Wort zu reden vermag.
Last, but not least empfiehlt sich dieses kompaktere Werk Gaarders auch wegen seines Spannungsbogens, der einen das Buch am liebsten erst nach der letzten Seite aus der Hand legen läßt. Und neben all dem Wunderbaren, die auch die Komik nicht zu kurz kommen läßt, wohnt der Rührung am Schluß etwas Befreiendes inne.

Weitere Besprechungen zu Werken von Jostein Gardner und Sekundärliteratur dazu siehe:
Büchernachlese-Extra: Jostein Gardner

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